leben lieben lachen hoffen
Der 11. im Monat

Der 11. im Monat

…, der kehrt unweigerlich nach 30 Tagen wieder, das Todesdatum von Sybille und nun steht das schon zum 8. Mal ohne meine geliebte Sybille an. Wobei? Ich sitze doch gerade an „ihrem“ Platz auf dem Sofa. Wie fast jeden Tag habe ich neben mir ihre Tasse mit Tee stehen und halte mein Handy in der Hand und sehe sie auf meinem Sperrbildschirm. Rechts hängt ein Foto von ihr an der Anrichte, links von mir habe ich „ihre“ Ecke eingerichtet und mit einem Klick habe ich ihre/meine Seite aufgerufen und kann eintauchen in Erinnerungen an Sybille. Sie ist also doch da, in so vielen neuen/anderen Formen. Ihren Loop und einige ihrer Hemden trage ich auch oft und gerne. Sie ist so einfach omnipräsent, vor allem natürlich in meinen vielen Gedanken in einsamen Stunden. Und? Es ist inzwischen ein schönes Gefühl, ist auch schmerzvoll, ist lustig, ist lehrreich, ist nachdenklich, machnmal mit ganz schwarzem Humor versehen, ist aber auch liebevoll und und und. Wieder einmal werde ich von meinen Gefühlen übermannt, mein Atem schwer und meine Augen werden feucht…

Ok, das sind alles immer wiederkehrende Momente der letzen 8 Monate, die ich mir so nicht gewünscht habe. Wer wünscht sich schon, seinen allerliebsten Schatz zu verlieren… Ich versuche immer mehr, diese Situation als „Normalität“ in meinen Alltag zu integrieren und aktiv zu leben. Mit dem 11. kommt immer wieder eine „Hürde“ im Monat, die es zu erklimmen, oder zu umschiffen gilt, jedesmal anders, aber seit gut 2 Monaten wird es etwas einfacher. Aber schließlich war da ja auch noch Weihnachten und Silvester, vor denen ich doch etwas „Angst“ hatte. Weihnachten war dann garnicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Vor allem als ich die Idee hatte, neben den Kerzen nur 54 Sterne und einen Engel an den Weihnachtsbaum zu hängen. So war Sybille irgendwie symbolisch auch mit dabei und das beruhigte mich und machte meine Einsamkeit erträglicher und brachte wieder ein Stückchen mehr Seelenfrieden.

Unsere normalerweise obligatorische Flasche Wein am Abend musste ich alleine „killen“ und das gelang mir gut…! Es war einsam, abgesehen von den Kindern, die da waren, aber Sybille war so irgendwie auch dabei. Für Silvester hatte ich keine Idee und meine allgemein doch recht gedrückte Stimmung in den Tagen vorm Jahreswechsel machten diesen Abend nicht einfach, kurz gesagt: er war schrecklich! Ein so richtig tiefes Loch tat sich mal wieder auf…und alles schien sich zu wiederholen, die Hilflosigkeit, die schiere Verzweiflung und der Schmerz. Aber Schwamm drüber, auch sowas muss und kann ich aushalten. Habe einfach die Erfahrung gemacht, dass ich da selbst auch wieder rauskomme. Die unbändige Liebe zu Sybille lässt mich das in dem Moment aushalten. Allerdings hätte ich mir da einfach was vornehmen sollen, mit andern feiern oder so, mich ablenken… Nächstes Jahr werde ich da garantiert was planen…

Jetzt am frühen Morgen(das wird anscheinend langsam zum Ritual, das nicht einschlafen können und früh wach werden, um dann meine Gedanken zu notieren…) möchte und werde ich auch mal wieder eintauchen in Sybilles Seite(noch so ein Ritual?), es geniessen und gleichzeitig auch leiden, lachen und weinen, nachdenken und einfach nur dasitzen und wieder einmal dem Schubert lauschen. So schmerzlich die Musik ist, so tröstlich ist sie auch. Gottseidank geht das Schauen auf dem Handy ja so simpel und überall und jederzeit, wenn ich das Bedürfnis danach habe und das ist oft….und das ist trotz allem aufkommenden Schmerz und der Trauer auch schön, bzw. fühlt es sich für mich einfach nur wichtig und richtig an, es zu tun. Es reinigt irgendwie die Seele, wie die Luft nach einem Gewitter. Mir fällt dabei ein, dass ich immer noch nicht im Friedwald an ihrem Urnengrab war. Ich habe da z.B. gerade überhaupt kein Bedürfnis. Ich weiss von Sybille, das sie ein Besuch auf dem Friedhof überhaupt nicht mochte und das von mir niemals verlangt hätte. Im Frühling habe ich es aber ganz sicher vor und ich will auch einfach wissen, was der Ort mit mir macht, ob ich dort Sybille nah sein kann, so wie es auf ihrer Seite sein kann, oder wenn ich z.B. ihr Lieblingshemd trage. Mal schauen.

Jetzt müsste noch der oft gedachte Blick nach vorne kommen, aber der macht mir derzeit noch ein bisschen Sorge und Angst, weil ich da nicht weiss was kommt und das wüsste ich gerne. Der Verstand ist da schon weiter, die Seele hängt, wie oft hinterher. Die Vergangenheit bekomme ich immer mehr „in den Griff“, bzw kann damit umgehen und damit leben. Ich möchte/muss die/meine Zukunft mehr als Chance sehen, aber da merke ich, wie Sybille mir fehlt. Der Halt, der Trost, der Mut, der Humor, die Lebensfreude und die Liebe, die Sybille mir immer gegeben hat, das alles vermisse ich gerade wieder einmal sehr. Mir fehlt dieser Halt, ich bekomme keine Rückmeldung, keinen guten Rat… eben auch an einem eigentlich ganz normalen 11. eines Monats, der derzeit aber nicht mehr normal ist. Aber; wenn ich an Sybille denke und an ihren Lebenswillen und ihre Lebensfreude und vor allem an ihre Träume, die immer ein Stück weit in Erfüllung gingen, dann ist das Trost für mich. Sie hat eben „nur“ fest dran geglaubt. Da kann ich mir jetzt nur einer Scheibe von abschneiden und mir zu Eigen machen und danach handeln. „Mach es“, höre ich sie gerade mir ins Ohr flüstern und ja, ich will es versuchen, jetzt halt ohne sie… auch wenn ich scheitern sollte: aufstehen, Krönchen richten und weiter. Das Leben war nie einfach, wer will das schon, wäre doch langweilig ohne die Hürden und auch mit 60 kann ich noch neu durchstarten. Mit der Bewältigung meiner Depression im Herbst 22 konnte ich Sybille ja noch zeigen, was sich bei mir änderte. Sie war stolz darauf und das hat sie mir immer wieder gesagt. Ich bin und kann inzwischen auch selber stolz auf mich sein, wenigstens schon mal wieder auch andere Gedanken, ja sogar Träume zu haben, wie es weitergehen könnte, auch wenn nicht alles Wirklichkeit wird bzw. werden kann. Nur meine Angst muss ich noch überwinden, oder ist die vielleicht auch ein Stück weit gut? Ich will es herausbekommen. Sybille ist in mir tief verwurzelt, das hat großen Einfluss auf mich, das ist schön so, bitte immer ewig weiter so! Und ich weiss, sie würde es mir so gönnen, alles in der Welt. Das hat sie in den letzten gemeinsamen Wochen mir nicht konkret, sondern so „ganz allgemein“ gesagt. Aber das musste sie garnicht, wir verstanden uns oft auch ganz ohne Worte.